Verschnaufpause

V

Wenn Vögel vögeln, ist Frühling. Wenn Menschen vögeln, werden sie verhaftet. Kommt öffentlich nicht gut. Die eigentlichen Ärgernisse dieser Zeit sind nicht die Liebenden. Es sind die Irrläufer. Jene Personenschichten, die den gesunden Menschenverstand abgelegt haben und es vorziehen, ihn gegen irreale Theorien der Fremdbeeinflussung zu ersetzen. Mit einem Satz: Es ist komfortabler, andere für sein Unvermögen und seine Unfähigkeit verantwortlich zu machen.

So demonstrieren sie – wofür eigentlich? Oder wogegen? Beispiellose Gutmenschen. Sie filmen in Geschäften Maskenverweigerer und verorten sich selbst im Leidenssegment, ganz im Sinne der römisch katholischen Tradition, die jetzt ihren Höhepunkt hat. Geboren zu werden, um zu leiden. Und irgendwie – nein insgesamt und überhaupt – widerstrebt mir das. Die Lust, die Leidenschaft, Neugier, ja sogar die Freude ist uns abhanden gekommen. Neid, Intoleranz und Denunzierung halten Einzug in die von Hamsterkäufen überfrachteten Plattenbauwohnungen neuer Generation. Nach Hause geschifft – wenn nicht gerade im Suezkanal stecken geblieben – mit 3,5 Tonnen Batterie-Autos. Meine Kindheit zieht vor meinen Augen vorbei, wie die Palmen und Sanddünen entlang einer Nilkreuzfahrt. Ich hätte gerne eines gehabt. Ein ferngesteuertes, batteriebetriebenes Auto. Mit dem Erwachsenwerden wächst auch das Spielzeug. Die Mienen der im feiertäglichen Ausgangsmodus befindlichen Staatsbürger verdunkeln sich, trotz Batterieautos, Impfinjektionen und vollen Klopapierregalen. Auf den flachen Schädelvorderseiten im oberen Stirnbereich setzen Furchen und Falten an, als Sinnbild für das Unvermögen, Lösungen zu den sich täglich ändernden Rahmenbedingungen der Stadt- und Staatshalter anzubieten. Ja, was denn noch?

„Schalten Sie Ihr Hirn ein oder aus!
Wozu Sie eher tendieren!“

Verhältnismäßigkeit verschwindet aus der Welt. Wie die Insekten und die Tiere. Die Büste der Angemessenheit wurde soeben vom Sockel gerissen. Eine angemessene Antwort auf Fragen ist für dieses heranwachsende verkürzte IT-Volk unrelevant. Der Kritik und dem Versuch einer demokratischen Ordnung durch vielfältigen Dialog wird eine Künstliche Intelligenz der eigeninteressenorientierten Filterfunktion entgegengesetzt.

Halt gibt uns in diesen Tagen die Natur. Ausgerechnet jene Instanz, der man täglich den Henkerstrick um die Baumstämme legt, und sie mit allerlei Tand verziert. Plastikmaikäfer und Plastikameisen im Rindenmulch mit in Wegwerfblumentöpfen eingesetzten Stiefmütterchen und Narzissen dienen der Stadtverschönerung und als Fotokulisse innerhalb lebensgroßer Stadtwohnzimmeratmosphäre, die ebenso künstlich ist, wie die Menschen selbst. Keine lebendigen Ameisen, keine Hummeln neben den Baumstümpfen, die links und rechts die Regenbogenparkbänke mit Blick auf das fischentleerte Wasser des Flusses flankieren. Der Blick auf das Wasser, auf die wunderbarsten Skulpturen, die die Menschheit je gesehen hat – die unberührten Bäume – wird mir genommen durch meterhohe Schutzwände, hinter denen sich die Baugruben erschreckender Größe auftun.

Wer Rettung in den Bergen sucht, wird dieser Tage von Bauvorhaben in Piefke-Saga’scher Größe konfrontiert. „Manda. Es isch Zeit!“ Wenn Chalets und Palais auf den Gipfeln die Kreuze ablösen, ist Feuer am Dach respektive auf den heimischen Bergen. Und den Schutt, wie die geschwärzten Akten, Gesprächsmitschnitte, Chat- und Emailprotokolle versenken wir in den zahlreichen Kärntner Seen mit Trinkwasserqualität. Holen Sie tief Luft …

Über den Autor

Gerald Eschenauer
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Gerald Eschenauer

Gerald Eschenauer

Schriftsteller. Philosoph. Schauspieler. Kulturvermittler, der zwischen den Welten wandelt.

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